Kulturelle Einbahnstraße?

Auswirkungen von TTIP auf den Kultur- und audiovisuellen Bereich

Von Martina Michels, MdEP, stellvertretende Vorsitzende des Kulturausschusses des Europaparlaments, Delegation DIE LINKE in der Fraktion GUE/NGL

Kultur ist mehr als eine Ware und kann nicht allein nach marktwirtschaftlichen Kriterien bewertet werden. Unser Kulturbegriff ist umfassend und schließt die Künste, die Erinnerungskultur, die kulturelle Bildung, die Soziokultur ebenso wie die Subkulturen und die Alltagskultur ein. Kultur ist für ein demokratisches Gemeinwesen wie auch für jeden Einzelnen unverzichtbar. Sie verbindet, schafft neue Horizonte und vermittelt Werte. Die UNESCO definiert die Kultur als Gesamtheit der unverwechselbaren geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Eigenschaften, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen, und die über Kunst und Literatur hinaus auch Lebensformen, Formen des Zusammenlebens, Wertesysteme, Traditionen und Überzeugungen umfasst. Und genau dieser Schutz und die Vielfalt von Kulturgütern gemäß der UNESCO-Konvention wären durch die Transatlantische Handels-und Investitionspartnerschaft (TTIP) gefährdet.

Der Kulturbereich als Ganzes ist vom Verhandlungsmandat nicht ausgenommen, sondern lediglich die audiovisuellen Dienstleistungen. Nur auf Druck Frankreichs wurde dieser Bereich vom Rat aus dem EU-Verhandlungsmandat ausgenommen. Nach Interpretation der Kommission kann in den laufenden Verhandlungen der audiovisuelle Bereich jedoch jederzeit wieder aufgegriffen werden. Dafür wäre aber wiederum die Zustimmung der einzelnen EU-Mitgliedstaaten im Rat erforderlich. Auch das Europaparlament forderte in einem Entschließungsantrag vom 14. Mai 2013, den Kultur- und Mediensektor aus dem Verhandlungsmandat herauszunehmen.

Der Doppelcharakter von Medien als Kultur- und Wirtschaftsgüter und die Rolle des Rundfunks als Kulturinstitution müssen bei allen Entscheidungen und Verhandlungen berücksichtigt werden. Das geltende europäische Medienrecht basiert auf der Erkenntnis und dem Bekenntnis zur Besonderheit der Medien gegenüber anderen Wirtschaftsgütern. Audiovisuelle Medien leisten einen wesentlichen Beitrag zur kulturellen und politischen Entwicklung und zur Identität der Gesellschaft. Angesichts der technischen Konvergenz überschneiden sich auch die rechtlichen Fragestellungen immer stärker. Adäquate Regulierung in Zeiten der Medienkonvergenz bedeutet nicht konvergente Regulierung über alle Medien oder Rechtsfelder hinweg. Die Regulierungsfähigkeit auf nationaler und europäischer Ebene darf nicht durch internationale Handelsabkommen wie TTIP unterlaufen werden. Eine Freigabe des Kultur- und Medienbereichs zum »freien Handel« widerspricht den Verpflichtungen der EU, die sie selbst zur Förderung der kulturellen Vielfalt und Identität (wie z. B. über die UNESCO-Konvention) und gegenüber den Mitgliedstaaten zur Achtung deren Kulturhoheit eingegangen ist.

Vor allem aber würden europäische kulturelle Errungenschaften und Entwicklungsmöglichkeiten ohne Not ins Risiko gesetzt. Amerikanische Unternehmen hatten bereits in der vordigitalen Welt erhebliche Vorteile, die in der digitalen und konvergenten Welt noch stärkere Wirkung entfalten, darunter besondere Steuervorteile für global agierende Unternehmen durch freie Standortwahl und der unbeschränkte Zugang von US-amerikanischen Investoren zum europäischen Medienmarkt (Beteiligung/Erwerb von Sendern, Kabelunternehmen, Frequenzen), wohingegen die USA ihren Medienmarkt vor ausländischen Beteiligungen regulatorisch abgeschottet haben. Regulatorische Maßnahmen mit Auswirkungen auf den audiovisuellen Bereich – ob im engeren Bereich des Medienrechts oder des Telekommunikationsrechts, des Urheberrechts, des Datenschutzrechts oder des allgemeinen Wettbewerbsrechts bis hin zu Fragen der Frequenzvergabe – müssen stets funktionsspezifisch und werteorientiert gestaltet werden.

Eine wesentliche Fördermaßnahme im kulturellen Bereich ist die Buchpreisbindung die in Deutschland ein wichtiges Schutzinstrument darstellt und bis ins Jahr 1888 zurückgeführt werden kann. Durch die Buchpreisbindung gewinnen alle. Der Kunde zahlt für ein Buch überall denselben Preis, darüber hinaus wird eine vielfältige Buchhandelslandschaft erhalten. Viele Literaten, Verlage und Kulturschaffende haben ihre Bedenken hinsichtlich des Freihandelsabkommens zwischen Europa und der USA bekundet. Bücher haben einen kulturellen Eigenwert, der geschützt werden muss, und können nicht auf einen reinen Handelsaspekt reduziert werden. Die Europäische Kommission konsultiert jedoch in vorauseilendem Gehorsam bereits hinsichtlich einer »Überprüfung bestehender Mehrwertsteuer-Rechtsvorschriften zu öffentlichen Einrichtungen und Steuerbefreiungen für dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten«.

Zudem beklagen die USA Maßnahmen zur Förderung der europäischen Kultur im Film- und Rundfunkbereich, die in einigen EU-Mitgliedstaaten geschaffen wurden. Frankreich, Italien, Polen und Spanien regeln zum Beispiel gesetzlich den Sendeanteil von EU und landessprachlichen Produktionen am Programm.

Ein weiterer Aspekt liegt in den Arbeitsbedingungen von Kulturschaffenden, die zunehmend der Liberalisierung und dem Konkurrenzdruck unterliegen. In der schnell wachsenden Kultur- und Kreativwirtschaft befinden sich viele Kreative in einer prekären sozialen Situation. Das Freihandelsabkommen führt zu noch mehr Druck und Prekarisierung.

Zusammenfassend kann nur eindringlich davor gewarnt werden, dass der Schutz und die Vielfalt von Kulturgütern gemäß der UNESCO-Konvention durch das Freihandelsabkommen gefährdet wird. Der besondere Charakter von Gütern und Leistungen im Kultur- und Medienbereich muss auch weiterhin gewährleistet werden. Deshalb gibt es für uns nur eine logische Konsequenz: Verhandlungen zum Freihandelsabkommen (TTIP) sofort stoppen!

Sie erreichen Martina Michels über martina.michels@ep.europa.eu

Dieser Artikel ist Teil der Publikation der Delegation der LINKEN im Europaparlament „FAIR HANDELN STATT WIRTSCHAFTS-NATO. Warum das Freihandelsabkommen mit den USA gestoppt werden muß.“

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