Martinas Woche 51 – 2015

 

Flüchtlingspolitik – Menschenrechte – Türkei – Ungarn – Urheberrecht – Weihnachtsvorboten

Die letzte Plenumswoche in Straßburg hatte es in sich. Ebenso drehte sich die Welt außerhalb des Parlaments weiter, eskalierte die staatliche Gewalt in Diyarbakır im Südosten der Türkei. Ensaf Haidar, die Lebensgefährtin von Raif Badawi, war zu Gast, um den Sacharowpreis entgegen zu nehmen. Die Regierungschefs bereiteten den EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag vor, um Herausforderungen, wie eine humane Flüchtlingspolitik, in Angriff zu nehmen. Das Ergebnis heute: Ernüchterung über einen katastrophalen Zustand der EU, Katzenjammer bei Juncker und Schulz.

Spenden für unbegleitete Minderjährige

In Berlin gibt es viele Jugendliche, die ohne Eltern oder Verwandte aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea gekommen sind. Am vergangenen Wochenende, wir hatten schon kurz berichtet, war Martina gemeinsam mit dem flüchtlingspolitischen Sprecher der Berliner linken Abgeordnetenhausfraktion, Hakan Taş, in einer Unterkunft in Reinickendorf. Die Trainingsanzüge, die Martina mitgebracht hatte, waren einmal mehr eine praktische und beliebte Überraschung. Entscheidend ist es letztlich, ins Gespräch zu kommen, die Problemlagen und die Erfahrungen der Ehrenamtlichen mit zu nehmen.
Manchmal stößt man dabei auf einfache Möglichkeiten, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Zum Beispiel wurde Martina erzählt, dass in der Unterkunft auch Therapiehunde zum Einsatz kommen. Nun denken wir hierzulande da an Vertrauensgesten, die manchmal nach traumtischen Erlebnissen schneller über unsere geliebten Vierbeiner entstehen. Doch hier verhält sich der Auftrag und Einsatz ganz anders. In den Herkunftsländern sind Hunde nicht derart ständige Begleiter im Alltag. Sie lösen Angst aus. So kann hier ein einfacher Spaziergang durch die Stadt zum Desaster werden, wenn einfach die Flüchtenden nicht erlebt und erfahren haben, dass wir hier ziemlich eng mit Hund (und Katze) leben und niemand sich zu fürchten braucht.

Zu Gast bei der SIMEP 2015

Wie schon in zurückliegenden Jahren, war Martina Michels auch 2015 wieder Gast der Simulation „Europäisches Parlament“ (SIMEP). Das 17. Mal fand die statt. Selbst Martina war über die interessierten und begeisterten Diskutantinnen und Zuhörer erstaunt. Eher pro forma hatte sie noch die anschließende Pause zum Weiterfragen angeboten und war plötzlich umringt von Neugierigen, die es ganz genau wissen wollten. Wenn es dann querbeet durch die EU-Politik geht – von TTIP, zu Gesetzgebungsverfahren bis zur Energiepolitik – dann wird man das Gefühl nicht los, dass man gleich eine ganze Plenumswoche simulieren könnte. Die Jugendlichen hätten damit offensichtlich kein Problem. Wenn wir heute oft Politikfrust und Desinteresse konstatieren, hier jedenfalls war das Gegenteil angesagt: die Lust auf Einmischung und die gemeinsame Suche nach kompetenten Antworten standen im Mittelpunkt.

Die letzte Plenumswoche des Jahres 2015 in Straßburg

Lage in der Türkei

Am Tage der Ankunft in Strasbourg hörten wir die furchtbaren Nachrichten aus Diyarbakır. Sicherheitskräfte hatten zwei Demonstranten erschossen. In Sur, dem Innenstadtviertel, indem Martina mit ihrem baskischen Kollegen José Juaristi Abaunz zur Wahlbeobachtung war, rückten erneut Panzer vor. In der Nachbarstadt wurden fünf Menschen erschossen. Die eskalierende Gewalt gegen Kurden und gegen die Opposition ist nicht hinnehmbar, genauso wenig wie das Schweigen der EU, weil sie mit Erdoğan ihre abschottende Flüchtlingspolitik lösen will. Martina hatte dazu gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen Stellung bezogen.

In mehreren Interviews ging es dann um die Lage zur Türkei, einmal fragte kiezTV nach, die am 24.12. oder am 31.12. ihre längere Sendung ausstrahlen (genauer Sendetermin folgt) und Ria Nowosti fragte nach und hat das Interview am 17.12. abends schon ausgestrahlt und einen zusammenfassenden Artikel veröffentlicht.

Sacharowpreis für Raif Badawi und Menschenrechtslage in Ungarn

Ensaf Haidar, die Partnerin des Bloggers Badawi, dem am Mittwoch, den 16.12., der Sacharowpreis des Europäischen Parlaments verliehen wurde, war in unserer Fraktion zu Gast. Sie verbindet mit dem Preis eine Chance auf seine Befreiung und betont nochmals, dass sich Regierungen direkt an Saudi-Arabien wenden sollten, um deutlich zu machen, Raif Badawi ist kein Krimineller, sondern jemand, der frei seine Meinung geäußert hat.

Am selben Tag, an dem der Sacharow-Preis für geistige Freiheit vom Europäischen Parlament an den Blogger Raif Badawi verliehen wurde, konnte sich das EP nur in unvollständiger Konsequenz zur Positionierung zu Grundrechtsbeschränkungen in einem EU-Mitgliedstaat durchringen. Die Abgeordneten der Linksfraktion GUE/NGL begrüßten die Annahme einer entsprechenden Entschließung, zeigten sich jedoch enttäuscht darüber, dass die Forderung nach konkreten Schritten gegenüber Ungarn von den konservativen Kräften blockiert werden konnten. Mehr findet ihr hier.

Viele andere Entscheidungen fielen in dieser Woche im Plenum, vom Datenschutzpaket bis zur Energieunion, von der Steuerpolitik bis zur Vorbereitung des Gipfels der Regierungschefs am Donnerstag und Freitag dieser Woche.

Die Digitale Binnenmarktstrategie kommt mit Riesenschritten – offener Brief gegen ein Europäisches Leistungsschutzrecht

Das kommende Jahr wirft seine Schatten voraus. Kurz vor der letzten Plenumswoche veröffentlichte die Kommission ihren Vorschlag zur Portabilitätsrichtlinie und eine Mitteilung zum Urheberrecht. Darüber hatten wir schon berichtet. Nun sind die Veröffentlichungen einmal durchstudiert und lassen viele Fragen offen. In einer Sache haben 80 Abgeordnete auf Anregung von Julia Reda aber schon reagiert und einen Brief an die Kommission unterzeichnet, indem erfragt wird, was der erneute Versuch soll, das unsägliche Leistungsschutzrecht auf Europäischer Ebene zu etablieren. Haben die WAZ-Gruppe und Springer wieder die Klinken in der Kommission geputzt? Anfang Juli hatte das Parlament mehrheitlich genau dieses Leistungsschutzrecht abgelehnt und damit der Kommission die Richtung vorgegeben. Daran musste jetzt erst einmal erinnert werden. Derartige Hase- und Igelspiele werden wir nicht hinnehmen. Hier ist der Brief der Abgeordneten, der in der Intergroup zur Digitalen Agenda entstanden war.

Strasbourg glitzerte

Am Mittwochabend nahmen wir uns die Zeit für einen Spaziergang über den ältesten Weihnachtsmarkt Europas und wandelten zwischen Glühweinduft und gebackenen Oblaten, Lichtern und den obligatorischen Störchen auf diversen Assesoires.

Die Hoffnung auf einen friedlichen Jahreswechsel wächst in solchen Momenten und mitten in der Politik weiß man genau, es ist eine geteilte Hoffnung, wenn wir an die Genossinnen und Genossen in Diyarbakır denken, an Menschen, die umherirren und Schutz suchen. Nutzen wir die Zeit zwischen den Jahren mit Freunden, Kindern und Eltern, genießen wir, dass wir Gelegenheit haben, in gewisser Weise sorglos auf einander zu zugehen. Sammeln wir Kraft, für eine bessere Politik.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.