Vorauseilende Kooperation der EU-Kommission

Foto: Louise Schmidt

Martina Michels, stellvertretendes Mitglied der EU-Türkei-Delegation des Europaparlaments, erklärt anlässlich der Empfehlung der Europäischen Kommission, die Visafreiheit auf türkische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger auszuweiten:

„Die Türkei hat mehrfach unmissverständlich die Visabefreiung ihrer Bürgerinnen und Bürger für die EU an den EU-Türkei-Deal geknüpft. Diese Verquickung allein ist absurd genug, zumal die Visabefreiung nach Erfüllung von 72 (rechtsstaatlichen) Forderungen ohnehin für Oktober 2016 geplant war. Nachdem der türkische Premierminister Davutoğlu seine Forderung nach sofortiger Umsetzung in den Verhandlungen im März mehrfach untermauerte, eilt jetzt die EU-Kommission voraus. Obwohl mindestens zehn der nötigen Bedingungen nicht erfüllt sind, deren Prüfung aussteht und viele praktische Fragen, wie die Passproduktion nach EU-Standards, ungeklärt sind, soll die Visabefreiung ab Juni eingeräumt werden.“

Die Europaabgeordnete weiter: „Dieser kopflose Aktionismus vervollständigt den Reigen der bisherigen Zugeständnisse, die die EU, ihre Kommission und der Rat der Regierungen der Mitgliedstaaten, in den letzten Wochen allzu häufig unterbreitete, um den Problemstau in einer bisher ausgebliebenen gemeinsamen Flüchtlingspolitik bei der Türkei abzuladen. Mit dieser Art Kooperationsbereitschaft stärkt die EU einerseits Ankara den Rücken, indem sie über eine kritische Demokratieentwicklung, die sie selbst im EU-Fortschrittsbericht 2015 diagnostizierte, und die Lage im Südosten der Türkei hinwegsieht.

Andererseits muss man diese Empfehlung der Kommission nicht überbewerten und, wie es heute medial ausgeschmückt wird, von einem besonderen Tag für die Türkei sprechen. Sowohl der Rat, vor allem aber auch das Europäische Parlament, müssen einer etwaigen Visa-Befreiung erst zustimmen und besonders im Parlament ist die Stimmung gegenüber weiteren Zugeständnissen an diese Erdoğan-Türkei nicht gerade wohlwollend.“

„Trotzdem ist festzuhalten: Diese Empfehlung der Europäischen Kommission steht erneut für eine Politik gegen Flüchtlinge statt gegen Fluchtursachen, nachhaltige Lösungen in den Konfliktregionen und eine integrative Politik für Menschen in Not. Sowohl die wachsende Kritik an der politischen Lage in der Türkei, die Medienleute, Kurdinnen und Kurden, sowie die politische Opposition zusehends kriminalisiert, als auch die Erkenntnis, dass der EU-Türkei-Aktionsplan letztendlich keine Lösungswege für die Flüchtlingsfrage und den Syrienkonflikt, sowie andere Problemregionen darstellen wird.

In den vergangenen Tagen ging, im Windschatten der Panama- und TTIP-Leaks, die Aufmerksamkeit  für den EU-Türkei-Deal und das damit verbundene Schicksal zehntausender Menschen in der öffentlichen Wahrnehmung etwas zurück. Doch die ungelösten Probleme bleiben. Ebenso verlangt die prekäre Lage an der syrisch-türkischen Grenze internationale Beobachtung und Aufklärung, so wie es Amnesty International angemahnt hat. Die Aufgabe, Erdoğan und Co. in einen realistischen Verhandlungsrahmen zurückzuführen, liegt jetzt beim EU-Parlament und ebenso lässt sich Verantwortung für eine menschenrechtlich vertretbare Flüchtlingspolitik nicht outsourcen. Das muss die EU endlich selbst in die Hand nehmen“, so Martina Michels abschließend.