Kohäsionspolitik nach 2020

Pressekonferenz mit EU-Kommissarin Cretu und Estnischer Ratspräsidentschaft | Foto: EU 2017

EU-Ministerrat tagt zur Zukunft der EU-Finanzen

Synergien und Vereinfachung? – Auseinanderdriften der Interessen trifft es besser

Am Mittwoch (15/11/2017) berieten die zuständigen Minister der EU-Mitgliedsstaaten über die Zukunft der EU-Regional- und Förderpolitik. Sie diskutierten dabei über den kürzlich von der Kommission vorgelegten 7. Kohäsionsbericht sowie Vorschläge zur Vereinfachung in diesem Politikbereich.

Martina Michels hatte vorab den Standpunkt der LINKEN. im Europaparlament betont: „Wir müssen alles tun, um den sozialen Zusammenhalt und eine entsprechende Politik der Angleichung der Lebensverhältnisse in der EU zu stärken. Daher unterstütze ich die Erklärung der ‚Allianz für die Kohäsionspolitik‘. Das Europäische Parlament hat sich im Gegensatz zur Kommission deutlich dafür ausgesprochen, auch in Zukunft einen mindestens gleichbleibenden, wenn nicht höheren Anteil des EU-Haushaltes auf die Kohäsionspolitik zu verwenden. In dem Bericht Bausteine für die künftige Kohäsionspolitik hatten die Europaabgeordneten darüber hinaus der Anwendung makroökonomischer Konditionalitäten eine klare Absage erteilt und stattdessen gefordert, dass auch in Zukunft alle Regionen in der EU förderfähig sein sollen. Sich von diesen Ambitionen zu verabschieden, kann europäischer Integration nicht förderlich sein.“

Auch die EU-Regionalkommissarin Corina Creţu äußerte sich während der Ratstagung in einem ähnlichen Sinne „Im Rahmen der Kohäsionspolitik sollten wir weiter in allen Regionen der EU investieren, um die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen: Bekämpfung von sozialer Exklusion und Jugendarbeitslosigkeit, Migration, Anpassung an die Globalisierung und Klimawandel. Nachhaltiger Verkehr, Gesundheit und digitale Infrastruktur, Kleinunternehmen und Innovation sollten weiterhin unterstützt werden, wobei wir uns auf die Bereiche konzentrieren sollten, wo die Unterstützung der EU den größten Mehrwert bringt“. Sie ging auf Nachfrage von Journalisten auch vorsichtig auf die dazu erforderlichen Finanzmittel ein: Das aktuelle EU-Budget entspricht 1% des Bruttonationaleinkommens der 28 Mitgliedstaaten. Nach Berechnungen der EU-Kommission sei ab 2020 mindestens eine Erhöhung des Beitrags auf 1,2% erforderlich, um die wichtigsten bisherigen Politiken wie Kohäsions- und Agrarpolitik ergänzt um „neue Herausforderungen“ wie „Verteidigung und Immigration finanzieren zu können.

Während jedoch selbst der konservative Präsident des Europäischen Parlaments eine Verdopplung des EU-Haushalts einfordert , hat die EU-Kommission Agenturmeldungen zufolge an anderer Stelle bereits begonnen, Szenarien aufzustellen, in denen bei der Regional- und Förderpolitik radikal bis zu bis zu 30% der Gelder eingespart werden müssten. Martina Michels hatte dies als „vorauseilenden Gehorsam der Kommission gegenüber den Regierungen der Mitgliedstaaten“ umgehend kritisiert, „Kohäsionspolitik, also politische Maßnahmen, um den Zusammenhalt zwischen den Regionen zu stärken, ist das einzig vorhandene finanzielle Instrument, um wirkliche Solidarität und Annäherungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten voranzubringen. Ausgerechnet hier den Rotstift anzusetzen, wäre unverzeihlich.“

Aus den Schlussfolgerungen des Rates  (hier in DE) unter dem Titel „Synergien und Vereinfachung“ ist ersichtlich, dass zwischen den Regierungen wenig Einigkeit über die künftige EU-Regionalförderpolitik besteht: Irgendwie scheint sie für bestimmte Ziele wichtig und erhaltungswürdig, müsse natürlich einfacher, effektiver und „messbarer“ werden und einem „stärker schwerpunktorientierten und kompakteren Bündel von einschlägigen Ex-ante-Konditionalitäten“ folgen. Die Kommission beauftragt man, den Entwurf für den künftigen Gesetzesrahmen „möglichst frühzeitig in 2018“ vorzulegen und der Übergang zwischen den Förderperioden solle reibungslos verlaufen. Presseberichten zufolge sprachen sich unter anderem Deutschland und Dänemark für Haushaltskürzungen aus.

Wie zu erwarten gestaltete sich die Frage nach der finanziellen Ausstattung der Kohäsionspolitik extrem schwierig, gerade im Zusammenhang mit den Zahlungslücken, die im Zusammenhang  mit dem Brexit zu erwarten sind.  Der Vertreter der estnischen Ratspräsidentschaft hingegen vertrat in der Pressekonferenz immerhin den Ansatz: „ehr Geld oder weniger ausgeben“, die Mitgliedstaaten müssten entweder mehr zum EU-Haushalt beitragen oder Kosten senken.

Eine weitere ungeklärte Fragen sind Vorschläge, künftig Zahlungen aus den Struktur- und Kohäsionsfonds von der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien abhängig zu machen oder an die Anwendung von Unter- und Obergrenzen für die Körperschaftsteuersätze zu koppeln abhängig zu machen – beides könnte man übrigens unter möglichen künftigen „einschlägigen ex-ante Konditionalitäten“ verstehen. Während Deutschland ersteres befürwortet, hatte der französische Präsident Macron kürzlich letztes vorgeschlagen. Kommissarin Cretu betonte immerhin, dass Rechtsstaatlichkeit ein Kernelement der EU-Mitgliedschaft ist und deshalb auch für alle ihre Politikbereiche. Eine Aussetzung der Förderpolitik würde jedoch die Bürger*innen treffen, kaum die Regierungen und sei damit nicht das geeignete Instrument. Martina Michels hatte sich zu bereits vor einiger Zeit zu beiden Vorschlägen ebenso ablehnend geäußert wie gegenüber den so genannten makroökonomischen Konditionalitäten, die gegen den Widerstand des Europaparlaments bereits 2013 Eingang in die Gesetzgebung über die EU-Strukturfonds gefunden hatten.

Wie vage, kontraproduktiv und demokratischen Grundprinzipien zuwiderlaufend sich solcher Zwang zu „Haushaltsdisziplin“ und „Strukturreformen“ und damit einhergehendem Abbau sozialer und andere öffentlicher Dienste und Infrastruktur auswirken kann, wird uns in Griechenland noch immer deutlich vor Augen geführt (Beispiel Jugendarbeitslosigkeit 2016: 47,3%). Der Europäische Rechnungshof drückte das in äußerst diplomatischer Sprache in dieser Woche mit Bezug auf die „Wirtschaftlichen Anpassungsprogramme für Griechenland“ der vergangenen Jahre so aus: „Die Prüfer stellten fest, dass die Kommission über keinerlei Erfahrung mit der Verwaltung eines derartigen Prozesses verfügte und die Bedingungen der Programme weder hinreichend nach Bedeutung priorisiert noch in eine breiter angelegte Strategie für Griechenland eingebettet waren. Darüber hinaus standen die makroökonomischen Annahmen der Programme auf tönernen Füßen. Die Zusammenarbeit mit den anderen Institutionen war zwar effektiv, bewegte sich aber in einem informellen Rahmen.“

Videomitschnitt der Pressekonferenz des Rates und EU-Kommissarin Cretu.

Schlussfolgerungen der Ratstagung zur Kohäsionspolitik hier in deutscher Sprache.

Zum Bericht des Europäischen Rechungshofs