Developing a Social and Solidarity Economy (SSE) – Thema mit Potenzial

Eröffnung der SSE-Konferenz mit Marie-Christine Vergiat | Foto: Dana Ringel

Bericht von Dana Ringel über eine GUENGL-Konferenz am 9. November 2017

Im Fahrwasser der zuletzt geführten Debatten zur sozialen Säule der EU und der Forderung nach einer Stärkung der sozialen Rechte der Unionsbürger durch die GUE/NGL fand am 09. November das zweite „European Forum on Social and Solidarity Economy“ der Fraktion unter Einbezug der Interessensvertretung sozial-solidarischer Unternehmen auf europäischer Ebene, der Social Economy Europe (SEE) statt.

Im Mittelpunkt der Zusammenkunft von Vertretern der EU-Institutionen und den Akteuren der sozial-solidarischen Ökonomie (SSE) standen Überlegungen zur Ausgestaltung und Förderung innovativer, kollektiver und gemeinwohlorientierter Wirtschaftsformen, die einen tragfähigen Gegenentwurf zum vorherrschenden, auf den privaten Profit abgerichteten und wettbewerbsorientierten Neoliberalismus bilden können. „Sozial-solidarisch“ schließt ein klassisches Verständnis von Marktaktivitäten, die einen Gewinn aus dem Vertrieb von Produkten und Dienstleistungen einschließen in diesem Sinne nicht kategorisch aus, jedoch verpflichtet man sich gleichzeitig den Prinzipien der Gegenseitigkeit von Produzent und Konsument und der öffentlichen Umverteilung. Mehrere Akteure mahnten die EU diesbezüglich an, die SSE nicht lediglich als Randerscheinung oder Ausformung des 3. Sektors zu begreifen, sondern als ein transformatives Gesellschaftsprojekt mit alternativen intersektoralen Antworten auf die Probleme einer krisengebeutelte Union.

Definitionsgemäß und  entsprechend des Selbstverständnisses der SEE kennzeichnet sich der Sektor durch folgende Merkmale:

  • Vorrangstellung soziale Ziele gegenüber Prinzipien der Gewinnmaximierung
  • freiwillige und offene Mitgliedschaft
  • demokratische Kontrolle durch die Belegschaft (nicht zutreffend bei Stiftungen)
  • Abstimmung der Interessen von Eigentümern (Produzenten), Nutzern (Konsumenten) und der Allgemeinheit
  • Selbstverwaltung und politische Unabhängigkeit (jedoch mit Möglichkeiten zur Subventionierung)
  • Verwendung der Gewinne im Interesse der Mitglieder, der Allgemeinheit oder zum Zweck der nachhaltigen Entwicklung (vgl. Charter of Principles of the Social Economy by SEE)

Doch anstatt sich allzu lange mit einer Begriffsbestimmung aufzuhalten wurden in verschiedenen Workshops praktische Beispiele bereits bestehender Initiativen vorgestellt und deren Perspektiven und strukturelle Herausforderungen erläutert. Die vier Workshops beschäftigten sich im Einzelnen mit der Rolle der SSE im Zusammenhang mit wichtigen Bedeutungsfeldern wie 1) Arbeitsmarktgestaltung 2) soziale Kohäsion 3) öffentliche Interessen sowie 4) Integration und Inklusion.

  1. Im ersten Workshop wurden die Möglichkeiten von Genossenschaften und Kooperativen zur Abfederung der  hohen Arbeitslosigkeit als Folge der Finanzkrise herausgearbeitet. Erfahrungen zeigten beispielsweise, dass die Überführung von Betrieben in gemeinschaftliche Teilhabestrukturen mit demokratischen Entscheidungsprozessen Jobverluste verhindern konnten. Die so vollzogene Verteilung von Nutzen und Risiko führt zu einer größeren Selbstbestimmung des Arbeitnehmers bei gleichzeitigem Anstieg seiner Sicherheiten. Es wurde darauf hingewiesen, dass über Maßnahmen zur Stärkung von Arbeitnehmerrechten weiterhin nachgedacht werden muss.
  2. Im zweiten Workshop wurde die Bedeutung der SSE für den sozialen und territorialen Zusammenhalt der Regionen diskutiert. Die große Bürgernähe sowie das Potential zum Erkennen und Befriedigen lokaler Bedürfnisse durch sozial-solidarische Initiativen, besonders in strukturschwachen Regionen, wurden hierbei hervorgehoben. Der European Social Fund (ESF) und der European Structural and Investment Funds (ESIF) stellen wichtige Instrumente zur Umsetzung von Projekten dar. Die Kommission wurde aufgefordert, gezielt Mittel für die SSE bereitzustellen. Akteure der SEE wiesen darauf hin, dass es dabei nicht nur auf die die Initiierungsphase ankommt, sondern insbesondere auf die Gewährleistung fortlaufender Subventionen, um zu verhindern, dass größere Unternehmen innovative Geschäftsideen aufkaufen und profitorientiert weiterführen. Zur Debatte gestellt wurden auch Überlegungen zur dezentralen Organisation und Entbürokratisierung der Fonds, um vor allem kleineren Initiativen, wie sie die SEE häufig hervorbringt, den Zugang zu Finanzierungstöpfen ohne zeit- und kostenintensiven Verwaltungsaufwand zu ermöglichen.
  3. Im dritten Workshop unterstrich man die Ressourcen der SSE zur Bereitstellung sozialer Dienste und zur Selbstverwaltung der lokalen Ökonomien durch die Bürger. Dabei gilt es zu vermeiden, die SSE als Korrekturmechanismus zu den Versäumnissen der öffentlichen Verwaltung zu deuten. Notwendig ist stattdessen ein Dialog auf Augenhöhe sowie Partnerschaften zwischen der öffentlichen Hand und der SSE. Die Aufgabe besteht darin, Strukturen für die demokratische Teilhabe an Entscheidungsprozessen von SSE-Stakeholdern auf allen politischen Ebenen zu entwickeln. Zum einen können Maßnahmen zur Marktregulation auf diese Weise spezifisch und bedürfnisorientiert verhandelt werden, zum anderen entgeht man so der Konkurrenz um Mittel zwischen Zivilgesellschaft und öffentlicher Hand. Zudem wird ausdrücklich ein weiterer Ausbau der Zusammenarbeit mit EU Institutionen angestrebt. SEE- Akteure baten dabei um eine ernstgemeinte Beteiligung. Bisherige Erfahrungen aus der Zusammenarbeit zeigten, dass Vorschläge oftmals keine Berücksichtigung in entsprechenden Papieren und Maßnahmen fanden.
  4. Der vierte Workshop wies auf den Empowerment-Ansatz hin,  den die SSE bietet. In selbstorganisatorische Wirtschaftsformen erhalten auch marginalisierte Gruppen, wie beispielsweise Migranten die Möglichkeit an Entwicklungsprozessen teilzunehmen und sich durch die gegenseitige Bereitstellung sozialer Diensten selbst zu befähigen.

Schlussendlich waren sich alle Beteiligten darüber einig, dass die SSE bedeutsame Gestaltungangebote zur Agenda „Europa 2020“ anbieten kann, um die darin ausgegeben Ziele einer nachhaltigen und sozial-integrativen wirtschaftlichen Entwicklung für Europa zu erreichen. Deshalb ist die EU dazu angehalten aufklärerische und politische Wege zum Ausbau der SSE weiter voranbringen.