Martinas Woche KW 28 – 2015

Martina Michels vor der VoxBox neben dem Plenarsaal Foto: KONSTANZE KRIESE

Alexis Tsipras im Europaparlament – Straßburg mit TTIP, Copyrightreform und Kommissionsarbeitsprogramm 2016 – Und ein schwerer und heiterer Abschied von Manolis Glezos

Tsipras im Europaparlament: Wir brauchen Demokratie, Solidarität, Respekt Und Gleichwertigkeit

Alexis Tsipras im Europäischen Parlament am 8. Juli 2015
Foto: Martina Michels

Die letzte Plenumswoche des Europaparlaments vor der Sommerpause wurde gerahmt von dem deutlichen Ergebniss des Referendums in Griechenland und von fortwährenden Europagipfeln zur Lösung der Eurokrise, wie sie mit Griechenland akuter nicht sein kann. Nach dem Referendum überschlug sich einmal mehr insbesondere der deutsche Blätterwald mit seinen Fehlinterpretationen und Desinformationen bezogen auf die Möglichkeiten europäischer Politik, auf den Verlauf der Eurokrise und auf die Zuspitzung in Griechenland. Die Menschen in Griechenland hätten nun selbst den Grexit gewählt, war häufig zu vernehmen und noch immer überwog die Meinung des deutschen Stammtisches, dass die Kredite der Troika, deren Zinsen und Rückzahlungen Bankhäuser einstrichen, Rettungen für Griechinnen und Griechen gewesen seien, die sie nur irgendwie falsch angelegt hätten. Man mag das wirklich nicht mehr hören, sich nicht die ewige Leier, dass die Griechen einmal etwas vorlegen müssten, kommen lassen… Wie auch immer: Alexis Tsipras hatte am Mittwoch Gelegenheit, im Europäischen Parlament in einer wunderbar sachlichen und deutlichen Rede den Auftakt für eine Debatte zu geben, die die ganzen Facetten der politischen Auseinandersetzungen dann nochmals widerspiegelte. Manfred Weber von der EVP wollte in seiner Erwiderung angeblich Würde und Wahrheit buchstabieren, doch stattdessen torpedierte er demokratische Lösungen, garnierte sie mit Halbwahrheiten und ließ nationale Ressentiments aufleben. Gabi Zimmer antwortete kurze Zeit später in einer berührenden und energischen Rede, in der sie daran erinnerte, dass Europa nach dem zweiten Weltkrieg in größter Solidarität Deutschland mit entschuldete und heute endlich zu einer Europäischen Lösung der Eurokrise zurückfinden sollte. Martina fasste kurz nach der turbulenten Debatte ihre Eindrücke an diesem denkwürdigen Mittwoch zusammen, obwohl sie ursprünglich vorhatte sich der Debatte um das Kommissionsarbeitsprogramm 2016 zu widmen.

Kommissionsarbeitsprogramm 2016

Das Kommissionsarbeitsprogramm 2016, das gerade in der Erarbeitung bei der Kommission ist, scheint, nach allem, was im Plenum einen Tag zuvor diskutiert und von der Kommission selbst vorgestellt wurde, völlig an den Herausforderungen der europäischen Politik und der tiefen politischen Vertrauenskrise vorbei zu segeln. Mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt, dem Juncker-Plan Europa 2020 wird nur ein „Weiter So“ verkündet. Es werden politische Instrumente installiert, die nicht nur alter Wein in neuen Schläuchen sind, sondern die letztlich die radikale Privatisierung wichtiger gesellschaftlicher Investitionen vorantreiben. Dafür steht der Fonds für Strategische Investitionen, der EFSI. Er wird in der Konsequenz dazu dienen, weitere öffentliche Kontrollmöglichkeiten zu kappen und das Umverteilungsprogramm von öffentlicher Daseinsvorsorge zur privaten Bereicherung fortzusetzen. Eine Umkehr in der abenteuerlichen Kürzungspolitik, die wie im Falle Griechenland sich auf Seiten der europäischen Eliten nur noch als erstarrte Ideologie erweist, scheint noch immer nicht auf dem Plan. Damit wird die Substanz für viele politische Lösungen, eine starke Demokratie, eine gute öffentliche Daseinsvorsorge und starke regionale Wirtschaft, die europäisch vernetzt den Strukturwandel ins 21. Jahrhundert bewältigt, auf’s Spiel gesetzt. Der Atem für gute ökologische und soziale Lösungen, für die Überwindung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der EU wird immer knapper. Wichtige Herausforderungen, wie die Lösung der Flüchtlingskrise, eine solare Energiewende, ein weltoffenes Europa, das auf gerechten Welthandel setzt, bleiben in Ansätzen stecken, bleiben gänzlich liegen oder werden mit Rezepten angegangen, die letztlich Teil des Problems statt der Lösung sind. Noch liegt das Programm nicht vor und überdies wurde die Abstimmung über die Entschließungsanträge aus den Fraktionen, die der Kommission Empfehlungen mit auf den Weg geben sollten, verschoben. Die Verschiebung der Abstimmung war zwar in der Hektik der Plenumswoche durchaus nachvollziehbar, doch zugleich ist es auch ein absurder Akt, denn er verweist letztlich darauf, wie ernst die Kommission hier die Stimmen aus dem Parlament nimmt. Wenigstens sind die eingereichten Entschließungsanträge nachlesbar.

TTIP-Bericht und Urheberrechte

In den sogenannten Fachpolitiken finden wir dann diese ausbleibende Krisenbewältigungsstrategie immer wieder. Was das Parlament diesmal bei der TTIP-Abstimmung des Initiativberichtes von Bernd Lange abgeliefert hat, war ein Akt des Selbstbetrugs. Mit Kompromissformeln, die ein netteres, weil öffentlicheres Streitbeilegungsverfahren zwischen privaten Investoren und Staaten vorsahen, ließen sich insbesondere die schwankenden Sozialdemokraten abspeisen und versenkten damit einmal mehr die Frage, wofür wir diese Sondergerichtsbarkeiten in entwickelten Demokratien und Rechtssystemen eigentlich brauchen. Überdies wurden damit mehr als zwei Millionen Stimmen von Bürgerinnen und Bürgern erneut übergangen, die seit Monaten ein begründetes „Stopp TTIP“ in der Öffentlichkeit jenseits des Parlaments formulieren.

Eine andere Debatte hat das Plenum bewegt, die Abstimmung des Berichts zur Europäischen Harmonisierung des Urheberrechts der Piratin Julia Reda. Die symptomatische Debatte um die Panoramafreiheit hatte längst die Öffentlichkeit außerhalb des Parlaments erfasst, doch sie steht nur für einen Bruchteil der ungelösten Fragestellungen, die Julia Reda mit ihrem Bericht angeschoben hat. Neben der hier verlinkten kurzen Pressemeldung wird in den nächsten Tagen auch eine ausführlichere Auswertung der Orientierungen, die mit dem angenommenen Bericht in der Debatte bleiben müssen, zur Verfügung gestellt.

Manolis Glezos sprach das letzte Mal als Abgeordneter im Parlament 

Manolis Glezos spricht am Abend innerhalb der GUE/NGL-Fraktion, erzählt Lebens- und Zeitgeschichte
Foto: Konstanze Kriese

Das war ein besonderer Moment, als Alexis Tsipras und alle Abgeordneten in der Debatte am Mittwoch noch einmal Manolis Glezos lauschten, sein Temperament, seine historischen Bögen verfolgten und man wünschte ihm in diesem Moment irgendeine ganz besondere digitale Bluecard, mit der er sich auch morgen noch in die eine oder andere Debatte um die Zukunft Europas direkt im Parlament einmischen könnte.

Unsere Fraktion hatte sich am Abend zuvor von Manolis symbolisch verabschiedet. Klar werden wir, so oft es geht, den Kontakt suchen, in der Bibliothek, die den Namen seines Bruders trägt, die er auf seiner Heimatinsel aufgebaut hat, in Athen oder gar Berlin. Martina wird er ganz besonders im Kulturausschuss fehlen, in der er mehr als einmal eine der geistigen Wiegen Europas, die griechische Philosophie und Theaterkunst hat lebendig werden lassen.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.