Kultur und Digitaler Binnenmarkt: Erste Ergebnisse einer fortgesetzten Debatte

Foto, Konstanze Kriese: Menschen gehen für informationelle Rechte längst auf die Straße

Der Kulturausschuss hat sich zur Digitalen Binnenmarkts-Strategie verständigt und am 12. November seine Stellungnahme verabschiedet

Digitalisierung hat nicht nur die Arbeits- und Geschäftswelt, sondern die Produktion europäischer Öffentlichkeit, die Herstellung, die Übertragungswege, die Art des Austausches, das Lernen kultureller, politischer und ethischer Wertorientierungen verändert. Die gesellschaftliche und kulturelle Kommunikation entsteht auf der Basis globaler Reichweiten, großer Wissensspeicher, sowie neuer Kommunikationsformen in Echtzeit. Deshalb geht es bei der Digitalen Binnenmarkt (DSM)-Strategie, die die Kommission vorgeschlagen hat, nicht allein um Technologien und wirtschaftliche Möglichkeiten, um Geschäftsmodelle, neue Arbeitsplätze und Verbraucherrechte, sondern um die Art, wie wir Lernen, zu Wissen und Weltanschauung im wahrsten Sinne des Wortes kommen, wie wir kommunale Aufgaben verwalten, regieren, Kulturaustausch und Integration bewältigen, ob wir uns diskriminierungsfrei in vielerlei Hinsicht auch im digitalen Netz verhalten.

Grundaufgabe einer Stellungnahme des Kulturausschusses war es, diesen Zugang in die federführenden Ausschüsse, dem ITRE (Industrieausschuss) und den IMCO (Binnenmarkt- und Verbraucherausschuss) für die weitere Debatte mit auf den Weg zu geben. Zum anderen ist der Kulturausschuss im kommenden Jahr federführend mit der Überarbeitung der Richtlinie für Audiovisuelle Mediendienste (AVMD) befasst und hat diese Stellungnahme genutzt, um schon jetzt zu diskutieren, wohin die Reise gehen sollte. Mit diesem schwierigen Unterfangen waren deshalb alle lange währende Debatten aufgerufen, von der Netzneutralität bis zum Urheberrecht, vom Umgang mit dem wachsenden Spektrum Audio-Visueller Mediendienste bis zum Datenschutz, vom digitalen Lernen bis zur Europäischen Sprachvielfalt.

Dazu erklärt Martina Michels, Schattenberichterstatterin der Linksfraktion GUE/NGL:

„ Die Rahmenbedingungen eines digitalen Binnenmarktes betreffen letztlich jeden Bereich unseres gesellschaftlichen Lebens auf verschiedene Weise. Diese Tatsache wird auch in der angenommenen Stellungnahme reflektiert, indem die ganze Bandbreite der Netz- und Kulturpolitik Eingang fand: Darunter die geplante Überarbeitung der Richtlinie für Audiovisuelle Mediendienste (AVMD) zur Sicherung von Medienfreiheit und Pluralität; die notwendige Überwindung von Geoblocking und mangelnder Portabilität; ein modernes Urheberrecht, das individuelle Nutzer und Bibliotheken, Archive und Hochschulen gleichermaßen ernst nimmt; sowie Medienkompetenz und Multilingualität für eine Alphabetisierung auch im digitalen Zeitalter.

Umso wichtiger ist es, dass der Kulturausschuss in seiner Stellungnahme heute viele dieser wesentlichen Aspekte mit aufgenommen hat. Auch wenn es an einigen Punkten der Stellungnahme zwar noch deutlicher Nachbesserungen bedarf, haben wir der gesamten Stellungnahme deshalb zugestimmt. Zugleich ist das Bündel der vielen offenen Fragen einmal mehr deutlich geworden. Schließlich führen wir hier keine Technologiedebatte, sondern eine um politische Prinzipien und Lösungen, über die Medienvielfalt und Zugänge für alle, es geht um Bildungsangebote und die Sicherung des Wissenszugangs in der digitalen Kommunikation, unabhängig davon, wie viel Mehrwert die heutigen Erfindungen ermöglichen,“ kommentiert Martina Michels ihre Entscheidung.

„ Besonders auffällig jedoch war die fehlende Mehrheit für eine Bekräftigung der Netzneutralität. Gerade nach der Positionierung des EPs im letzten Straßburger Plenum wäre eine solche sehr angebracht gewesen, um dem Industrieausschuss (ITRE) diese wichtige Weichenstellung mit auf den Weg zu geben. Das ist das entscheidende Manko der beschlossenen Stellungnahme, dies wollen wir auch nach Zustimmung zur Stellungnahme als empfindliche Fehlstelle klar zu skizzieren“, resümiert Martina Michels.

Was leistet die abgestimmte Stellungnahme – Ein kurzer Überblick:

  • Audiovisuelle Mediendienste, Sicherung von Medienfreiheit und Pluralität
    Mediendienste haben in Europa nicht nur eine technologische Doppelstruktur zwischen dem guten alten Rundfunk, Fernsehen und dem Internet, so dass die Berichterstatterin besonderen Wert legte, dass sie in der DSM-Strategie gleichbehandelt vorkommen sollten, um moderne Medienfreiheit und Pluralität zu sichern. Darüber hinaus sind ebenso die in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgeformten dualen Sendestrukturen zu beachten, in denen sich privater und öffentlichen Rundfunk, TV und die digitalen Formen von Information bis Unterhaltung weiterentwickelt haben. Einmal mehr wird daher gefordert, Audio-Visuelle Mediendienste vor dem Hintergrund ihrer heutigen Funktionsweise in einer digitalen Welt klar zu definieren und die Kommission wird aufgefordert den regulatorischen Rahmen des DSM exakt zu bestimmen.
  • Geoblocking und Portabilität
    Erst auf der Basis einer klaren Bestimmung, welche Dienste in der DSM-Stragegie reguliert werden sollen, lässt sich sinnvoll über die Überwindung von Geoblocking und mangelnder Portabilität in unterschiedlichen Bereichen diskutieren und entscheiden. Solange die Kommission hier den öffentlichen Sektor tendenziell ausklammert, werden wir weiterhin auf Reisen durch Europa und im Beruf auf Situationen treffen, in denen uns mitgeteilt wird. „Diese Sendung ist in ihrem Land nicht verfügbar“ oder wir landen ganz ungefragt hinter unseren Landesgrenzen auf einer Autovermietungsseite, die wir gar nicht aufgerufen haben. Um letztlich über Medienpluralismus und Diskriminierungsfreiheit, über Auffindbarkeit von Inhalten, Werbung in Sendungen und europäische Standards zu reden, müssen wir demnach die Anerkennung der kulturellen Produktion in kommerziellen und gemeinnützigen Strukturen erneut einfordern, was mit der Stellungnahme und den Änderungsanträgen geleistet wurde.
  • UNESCO-Konvention kultureller Vielfalt beachten
    Einmal mehr wurde deshalb auf die Unseco-Konvention zur kulturellen Vielfalt verwiesen, auch wenn es um die DSM-Strategie geht. Doch wir kennen diese Rahmensetzung schon bei den Debatten um TTIP, nur mit dem Rückgriff auf den besonderen Charakter kultureller Produktion, können wir auch erfolgreich über Ausnahmen und Regulationen reden und wirksam den Zugang aller zu Kultur, Bildung, Wissen und Information sichern.
  • Kultur, Bildung und Informationszugang als soziale und demokratische Grundrechte sichern
    Diese Grundentscheidung, den Kultur- und Medienbereich erneut als besonderen anzuerkennen, ist nicht folgenlos, denn sie sichert in der Konsequenz nicht nur einklagbare Grundlagen, die Medienpluralismus erst nachhaltig ermöglichen und damit auch bessere Arbeitsbedingungen für Journalisten und Kulturproduzenten anzugehen. Mit dieser Orientierung holen wir kulturelle und informationelle Inhalte aus dem alleinigen Horizont ihrer geschäftlichen Vermarktung, denn der Zugang und die Teilhabe am kulturellen Dialog, an Bildung und politischer Kommunikation gehört zu den demokratischen und sozialen Grundrechten. Damit dies kein Postulat bleibt, müssen Rahmenbedingungen eines Digitalen Binnenmarktes letztlich auch mit konkreten Rahmenbedingungen der Teilhabe an Bildung, Kultur, Wissen und Information zusammenpassen.
  • Netzneutralität und Breitbandaufbau – Der Ausschuss hat sich nicht klar* positioniert
    Mit den eigenen Änderungsanträgen hatte ich nochmals – gerade dem grundsätzlichen kulturpolitischen Zugang der Teilhabe folgend – die Sicherung der Netzneutralität und die Förderung des europaweiten Ausbau des Breitbandnetzes in die Stellungnahme eingebracht, obwohl dies weiterhin strukturell eine Entscheidung im Industrieausschuss bleiben wird. Dies erwies sich angesichts der Abstimmung zum Telekommunikationspacket im Septemberplenum, in dem die Netzneutralität einmal mehr angegriffen wurde, als doppelt sinnvoll. Im Kompromiss 10, der zur heutigen Abstimmung stand, war, wenn auch nicht offensiv, formuliert: „calls the commission to take account of the principles of neutrality for networks and search engines, which is vital where media convergence is concerned…“ Der Ausschuss hat sich allerdings mehrheitlich gegen diesen Kompromiss entschieden und dem Industrieausschuss diese wichtige Weichenstellung damit nicht noch einmal dezidiert mit auf den Weg gegeben.**
  • Urheberrecht – Probleme umrissen, Lösungen offen
    Einmal mehr hatte sich der Kulturausschuss zur Richtung eines modernen Urheberrechts geäußert, auch wenn oft genug zu vernehmen ist, dass dafür die Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitiker im Innenausschuss (JURI) zuständig seien. Letztlich sind es allerdings gerade Kulturberufe, Journalistinnen und Journalisten, Bildung und Forschung, die eine offenen Debatte um eine Harmonisierung des Urheberrechts in Europa betrifft, die den Wert von Ausnahmen für Bibliotheken, Schulen, Hochschulen, aber auch sinnvolle Regelungen von Zitier- und Verweis- und anderen Nutzungsrechten benötigen. Gleichfalls bleibt offen, ob wir weiterhin die Betonung auf territoriale Lizensen oder auf eine Europäische Lizens in der Filmproduktion legen wollen. Es muss bei allen Weiterentwicklungen darum gehen, eine fairen Ausgleich zwischen Urhebern, individuellen und institutionellen Nutzerinnen und Rechteverwertern zu finden. Hier wurden die Konfliktfelder nicht verkürzt beschrieben, doch die Lösungen, wird der Kulturausschuss nicht allein entwickeln.
  • Medienkompetenz durch Internetkompetenz ergänzen, Multilingualität auch digital fördern
    Zum klassischen Themenspektrum der kulturellen Bildung gehört seit langem die Medienkompetenz, der Punkt, in dem sich die Kulturausschussmitglieder parteiübergreifend einig sind, viel Fachwissen einzubringen haben und daher auf eine heute nötige Internetkompetenz verweisen. Diesen Überlegungen, die ich mit vielen Ausschussmitgliedern teile, habe ich  den Aspekt der Sicherung der Europäischen Multilingualität hinzugefügt, der in der Entwicklung eines sozial-gerechten und kulturell vielseitigen digitalen Binnenmarktes und darüber hinaus wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Schon jetzt gibt es interessante Europäische Innovationen, wenn es um Sprachensoftware geht. doch davon sollte nicht nur die Großindustrie und die Europäische Politik profitieren, sondern zunehmend auch Kultur, Medien, Film, Bildung und Forschung, aber auch kleine und mittelständische Unternehmen. Deshalb ist es sinnvoll, innerhalb der DSM-Strategie hier einen besonderen Förderschwerpunkt festzuhalten.

Letztlich haben die Kulturausschussmitglieder der GUENGL der gesamten Stellungnahme zugestimmt. Zugleich ist das Bündel der vielen offenen Fragen einmal mehr deutlich geworden, denn wir führen hier keine Technologiedebatte, sondern eine um politische Prinzipien und Lösungen, die Medienvielfalt, Zugänge für alle, Bildungsangebote und Wissenszugang in der digitalen Kommunikation sichern müssen, unabhängig davon, wie viel pekunären Mehrwert die heutigen Erfindungen ermöglichen.

Als Schattenberichterstatterin hatte ich sechs Punkte in die Debatte eingebracht hat. Mehrheitlich hatte die Verfasserin der Stellungnahme des Kulturausschusses, Petra Kammerevert von der S&D (SPD), die Änderungsanträge in die Kompromisse aufgenommen und auch die linken Einzelanträge wurden im Ausschuss weitgehend in die Stellungnahme aufgenommen. Aus ursprünglich 183 Änderungsanträgen wurden 27 Kompromisse und eine entsprechend reduzierte Anzahl von Einzelanträgen zur Debatte gestellt. In den kommenden Tagen wird an dieser Stelle das abgestimmte Dokument verlinkt. Interessant wird es auch für mich, wie nun diese Debatte in den anderen Ausschüssen fortgesetzt wird und zusammnegeführt wird.

P. S. Nachtrag am 13.11. zum gestern hier veröffentlichen Kommentar:

*und **

„Im gestrigen Kommentar hatte ich unmittelbar nach der Schlussanstimmung vermerkt: „Das ist das entscheidende Manko der beschlossenen Stellungnahme, dies wollen wir auch nach Zustimmung zur Stellungnahme als empfindliche Fehlstelle klar skizzieren.“

Nach Prüfung der heute vom Ausschusssekretariat übermittelten Abstimmungsliste konnten wir im Detail überprüfen, dass auch die Änderungsanträge zur Netzneutralität und zum Breitbandausbau, die ich als Einzelanträge, unterstützt von meinem Fraktionskollegen Curzio Maltese eingebracht hatte, wenn auch nicht an so hervorgehobener Stelle, wie sie mit dem Kompromiss 10 platziert worden wären, angenommen wurden. Dies war in der Gesamtabstimmung nicht so schnell zu ermitteln. Dies ist ein gutes Ergebnis, dass wir, wie im letzten Abschnitt vermerkt, durch die baldige Verlinkung der finalen Stellungnahme, belegen werden.