Industriepolitik braucht auch kulturelle Perspektiven und demokratische Debatten

Studientage der Fraktion in Donostia-San Sebastián – Beitrag im Panel zur Industriepolitik

Martina Michels in der Debatte:

Industrial development in the EU: job creation, green innovation and tech. transfer

auf dem Study Days in Donostia-San Sebastián

Josu Juaristi und Martina Michels im Panel, 7. Juni 2017 | Foto: GUENGL Press Unit

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

auch ich möchte mich bei Josu Juaristi bedanken für diese Studientage.

Möglicherweise wundern sich einige Kolleginnen und Kollegen, dass ich – vornehmlich im Regional- und Kulturausschuss aktiv – zu moderner Industriepolitik aus linker Perspektive spreche. Auch ich war etwas erstaunt, dass ich in dieses Panel geraten bin. Aber: ich finde das goldrichtig, einmal, nicht nur, weil ich einmal Schattenberichterstatterin beim Bericht zur Kultur- und Kreativwirtschaft (Cultural and Creative Industries – kurz CCI) war, der sowohl vom Industrie als auch vom Kulturausschuss des EP mitverantwortet wurde.

Damit bin ich gleich beim ersten Problem:

Einer der digitalen Industrie- und Dienstleistungssektoren im engeren Sinne, die Kommunikations- und Kulturindustrie, in der u.a. Musik, Film, Medien, Spielesoftware, Bildbearbeitung, aber auch Architektur und Werbung zu Hause sind, die sogenannten Cultural and Creative Industries haben heute schon viel mehr Beschäftigte als die Autoindustrie, die chemische Industrie oder die Nahrungsgüterwirtschaft.

All diese technologisch hoch vermittelten Branchen sind historisch jünger als die klassischen Industriezweige des 19. Jahrhunderts und haben politisch viel, viel weniger Aufmerksamkeit. Und wenn diese Branchen dann einmal politische Aufmerksamkeit haben, dann oft nur als Negativbeispiel für unsichere und prekäre Beschäftigung. Zu Recht: Denn es gibt viele Soloselbständige, viele kleinteilige Unternehmen und viele weibliche Beschäftigte. Gewerkschaften sind kaum aktiv. Die Selbstausbeutung ist enorm.

Einige Zahlen: In der EU gibt es 12 Millionen Vollzeitarbeitsplätze in den Cultural und Creative Industries. Das sind 7,5 % aller Beschäftigten in der EU, aber es werden nur 5,3% des BIP erwirtschaftet, was geschätzt auf rund 509 Mrd. Euro Umsatz berechnet wird.

Konservative greifen die Besonderheiten der Branche gern auf und sie argumentieren, dass sich der kreative Teil der Beschäftigten am besten durch ein striktes und altmodisches Urheberrecht bezahlen lassen sollte. Und neoliberale Ideologen hoffen darauf, mit dieser Sichtweise gleich jede sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ein für allemal politisch entsorgen zu können.

In diesen Branchen, die soviel Inhalte für unsere demokratische Debatte, für Zukunft und Zusammenleben liefert – durch Filme, Dokumentationen, Nachrichten oder Musik -, benötigen deshalb nicht nur ein faires modernes Urheberrecht, das auch die Rechte der Nutzer kennt, dafür setzen wir uns ja sehr intensiv ein, wie ihr wisst.

Sondern es geht endlich auch Instrumente, um die Entlohnung transparent zu machen.

Seit langen schlage ich daher vor, sich ganz konkret für ein „fair work“-Siegel für Kultur- und Kreativunternehmen stark zu machen. Es kann nicht sein, dass diese Branchen mit ihrer hohen kreativen Komponente zugleich oft zum Vorbild für unsichere und mies bezahlte Jobs gemacht werden. Dann haben auch Jugendliche keine Lust, in diesen Bereichen ihre Zukunft zu entdecken und: das Jobwachstum geht ohne derartige Instrumente immer nur mit schlechteren Einkommen einher.

Zweitens sei mir gestattet, diese Branche der Cultural and Creative Industries zu verlassen  und aus der Sicht der Regionalpolitik noch zwei Bemerkungen zu einer modernen Industriepolitik im Ganzen zu machen:

Von einer solaren Energiepolitik bis zum schonenden Umgang mit Ressourcen, von öffentlicher Kontrolle unserer industriellen und kommunalen Infrastruktur, von der gemeinschaftlichen Kontrolle der energetischen und digitalen Netze und der Mobilität sind wir letztlich alle betroffen (und durch die anhaltende Privatisierung noch immer weit entfernt).

Dabei ist es völlig egal, ob wir direkt in der Industrie oder in der Pflege, in der Bildung, in einer kommunalen Verwaltung oder in der Politik unterwegs sind.

Derzeit toben die Kämpfe um eines der Zukunftsnetze: der neuen Basis digitaler Produktion überall, dem 5G-Netz für alle mögliche intelligente Industrieprodukte, die unser Zusammenleben bestimmen werden.

Und was macht die Telekommunikationsbranche? Sie erpresst seit mindestens zwei Jahren die Europäische Politik, wenn es darum geht, wer nimmt welches Geld für die Investition in die Hand nimmt.

Die großen Unternehmen haben im vergangenen Jahr in ihrem 5G-Manifest darauf aufmerksam gemacht, dass sie nur weiter investieren wollen, wenn sie im Gegenzug endlich ein Zwei-(oder Mehr)-Klassen-Internet durchsetzen können. Und damals hat das Oettinger auch aufgegriffen.

In diversen Kommissionsvorschlägen tauchen dann die entsprechenden Instrumente dazu auf, von den „Spezialdiensten“ bis zum „Zeroranking“. Ich kann das hier nicht ausführen, aber hinter diesen kleinen unscheinbaren Vokabeln verstecken sich die Einfallstore, um endlich die Netzneutralität abschaffen zu können. Die Netzneutralitat, die sichert, dass jede und jeder denselben Zugang zum Internet hat, ist aber ein  demokratisches Grundprinzip einer digitalen Gesellschaft, das wir unbedingt verteidigen müssen.

Die Kommission redet immer nur vom digitalen Binnenmarkt, statt endlich von der digitalen Gesellschaft zu reden. Hier brauchen wir einen politischen Turn, den wir von links einfordern müssen!

Meine Schlussbemerkung:

Eine moderne Industriepolitik ist an eine entsprechende demokratische Debatte gebunden, an soziale Rechte der Beschäftigten, das habe ich mit dem futuristischen fair-work-Siegel in den Cultural and Creative Industries schon angedeutet.

Wir müssen als Linke sagen können, wohin die Reise geht, wofür wir nachhaltige Strukturfonds brauchen und wofür wir sie sinnvoll in unseren Kommunen fuer Zukunfstinvestitionen einsetzen können, um die wachsenden Angriffe gegen eine solidarische Kohäsionspolitik – besonders nach dem Brexit – erfolgreich abzuwehren.

Dafür möchte ich abschließend ein Bild in die Debatte werfen, dass aus einer Studie »Zukunftsfähiges Deutschland«* stammt:

Nicht mehr der übergewichtige, schwer manövrierbare und gefährliche Hochseetanker sollte die industrielle Fertigung symbolisieren, sondern das elegante und hochmoderne Segelschiff. Ein Segelschiff, das sich vom Wind angetrieben als vergleichsweise kleines, ressourcenleichtes und wendiges Fahrzeug bewegt. Ein Schiff, das kein Risiko mehr für die Menschen darstellt und auch keine Dreckspur hinterlässt.

Ich hoffe, verdeutlicht zu haben, dass eine moderne Industriepolitik nicht nur Wirtschafts- oder Beschäftigungspolitiker/innen betrifft, sondern genauso eine Frage der demokratischen Debatte und der kulturellen Produktion ist. Und ich freue mich daher, dies hier einbringen zu können.

*Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie, 1996, 2008 – die sogenannte Grüne Bibel, beauftragt von BUND und Misereor