Berlin: Wem gehört die Stadt?

Interview mit Martina Michels in l’Humanité zur Berlinwahl 2016

Berlin : l’extrême-droite pousse, mais la gauche ne cède pas

Propos recueillis par Jean-Jacques Régibier, Mercredi, 21 Septembre, 2016, Humanite.fr

Das Originalinterview ist auf der Website von l’Humanité hier nachzulesen.

Berlinwahl: „Rechte hat zugelegt, aber die Linke gibt nicht nach“

Interview mit Martina Michels in l’Humanité, deutsche Übersetzung

F: Wie analysieren Sie das Wahlergebnis im Allgemeinen?

A: Die Wahlen in Land Berlin zeigen: die Rot-Schwarze Koalition hat die Quittung für schlechtes Regieren bekommen. Die Chance für eine andere Politik ist greifbar.

Die Berliner LINKE ist mit 15,6 % drittstärkste Kraft in der Stadt, stärkste Kraft in den östlichen Bezirken und hat als einzige von den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien kräftig hinzugewonnen.

F: Wie lassen sich aus Ihrer Sicht die guten Ergebnisse für DIE LINKE. erklären?

A: Den Erfolg verdankt die LINKE in Berlin einer scheinbar simplen Frage: „Wem gehört die Stadt?“. Mit dieser demokratischen Einladung konnte DIE LINKE soziale und kulturelle Debatten einer weltoffenen Metropole gleichzeitig führen. Sie konnte einerseits Mietenpolitik und Armutsbekämpfung thematisieren, andererseits den digitalen Wandel von der Bildung, über Jobs bis zur Verwaltung. Diese mutige Strategie ist aufgegangen und hat auch jungen Wählerinnen und Wählern überzeugt.

DIE LINKE in Berlin hat in der Flüchtlingsfrage keinerlei Zugeständnisse an nationalistische Ressentiments gemacht, sondern auf lokale und globale Solidarität gleichermaßen gesetzt. Dabei wissen ihre Mitglieder am besten, dass soziale und kulturelle Integration kein Spaziergang ist, denn viele von ihnen haben im letzten Jahr die Ankunft von Flüchtlingen ehrenamtlich begleitet.

F: Aber nicht zur DIE LINKE. hat zugelegt bei diesen Wahlen. Es gab auch einen kräftigen Schub für die extreme Rechte.

A: Diese Wahl hat auch Schattenseiten. Und diese können wir nicht einfach mit dem Hinweis auf europäische Normalität abtun. Der Aufstieg der rechtspopulistischen AfD wurde auch in einer Metropole, in der Menschen aus allen Kontinenten zu Hause sind, nicht gestoppt.

Die Debatte um einen politischen Richtungswechsel in Deutschland hat schon vor dem letzten Sonntag begonnen. Doch seit gestern wird diese Option innerhalb wie außerhalb von Parteien intensiver geführt.

F: Wird diese Wahl auch Konsequenzen für eine politische Neuausrichtung auf nationaler Ebene haben?

A: Ja, ohne Zweifel auch europapolitische Konsequenzen.

Rot-rot-Grün in Berlin ist eine neue Regierungsoption, die Wählerinnen sehr begrüßen, während manch Hauptstadtmedien gerade im Dreieck springen. Sie könnten daraus aber nur etwas entwickeln, wie unser Spitzenkandidat Klaus Lederer sagte, wenn der Druck auf einen solchen Senat auch nach dem Wahltag nicht nachlässt, der produktive Dialog mit Bürgern endlich Alltag wird.

Leider hat die deutsche Sozialdemokratie gerade ihr gestörtes Verhältnis zur demokratischen Debatte vor Ort und in Europa erneuert und den Unwillen zur Veränderung bekundet. Nachdem am Samstag 320.000 Menschen gegen CETA und TTIP demonstriert haben, hat ein Parteikonvent der SPD am Montag unter großem Einsatz von Martin Schulz der Parteiführung und Abgeordneten das Mandat zur Zustimmung zum CETA-Vertrag gegeben.