Türkei: Premiumpartner der EU beendet Demokratie

Foto von Konstanze Kriese: Wahltag in Diyarbakir, 1.11.2015

Gestern wurden 28 gewählte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, vorrangig Mitglieder der HDP, im Südosten der Türkei abgesetzt. Weiterhin tauchen Videos auf, die die Ermordung des armenisch-türkischen Schriftstellers und Journalisten Hrant Dink vor beinahe 10 Jahren neu beleuchten. Überdies wurden am Samstag die Journalisten Ahmet Altan und Mehmet Altan von sogenannten Anti-Terroreinheiten festgenommen. Dazu kommentiert Martina Michels: 

„Wenn morgen im Europäischen Parlament einmal mehr die Beziehungen der EU zur Türkei verhandelt werden, werden sich Kommission und Rat erneut am Premiumpartner abarbeiten, weil die Mitgliedstaaten zu keinem gemeinsamen Ende ihrer europäischen Abschottungspolitik bereit sind. Diese Sackgasse einer verfehlten Nachbarschaftspolitik schadet der EU, der Türkei und den Flüchtlingen, insbesondere aus Syrien und dem Irak.

Was sich seit über einem Jahr im Südosten der Türkei abspielt, eine Bedrohung, Vertreibung und Enteignung von Kurdinnen und Kurden, die massive Unterdrückung der politischen Opposition unter der Flagge der Terrorbekämpfung, setzt sich nach dem gescheiterten Putsch am 15. Juli 2016 fort und gipfelt nicht nur in der strafrechtlichen Verfolgung vieler Abgeordneter, insbesondere der HDP, sondern in weiteren Maßnahmen, die kommunale Demokratie gänzlich auszuhebeln und Bürgermeisterinnen und Bürgermeister erneut ihrer Ämter zu entheben.“

Martina Michels ergänzt: „In anderen Landesteilen werden SchriftstellerInnen, JournalistInnen, WissenschaftlerInnen nach den großen Säuberungswellen bei Staatsbediensteten weiterhin verfolgt, verhaftet und eingesperrt. Selbst jetzt bekannt gemachte Umstände des Todes von Hrant Dink, dessen Aufarbeitung in der Gezi-Bewegung wachgehalten wurde, werden nicht zur Aufklärung, sondern zur Beschuldigung von vermeintlichen Anhängern der Gülen-Bewegung eingesetzt.

Der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk hat gestern in einem ZEIT-Interview vor einer Türkei auf dem Wege zu einem Terrorregime gewarnt.“

Abschließend hält Martina Michels fest: „Die EU sollte endlich ihre Beziehungen zur Türkei auf eine sachliche Grundlage stellen, den Flüchtlingsdeal beenden und ihre Hausaufgabe machen. Die globalen Flüchtlingsbewegungen sind eine gänzlich andere Herausforderung für die europäische Politik als hoffnungslose Abschottung abzusichern. Sie muss dafür ganz sicher viele Milliarden in die Hand nehmen, doch die sollten bei einem gerechten internationalen Handel, bei einer nachhaltigen Entwicklungspolitik und einer humanen Flüchtlings- und Integrationspolitik ausgegeben werden, statt sie Despoten hinterher zu werfen und elektronische Mauern gegen Schutzsuchende zu errichten.“